Pforzheimer Zeitung 12-2000

Vom Wunder am Tag der großen Tragödie

Diese Geschlchte handelt vom schlimmsten Tag, den die Stadt Pforzheim je erlebte. Von der persönlichen Tragödie des Pforzheimer Kunstmalers Hermann Ruf. Vor allem aber handelt sie von einem „Wunder“ um ein altes Gemälde.
Hermann Ruf machte sich am spä­ten Nachmittag des 23. Februar 1945 auf den Weg aus seinem Atelier am Schloßberg nach Hause in die Stol­zestraße. Als er gerade die Auerbrücke überqueren wollte, brach der entsetz1i­che Feuersturm los, der sich und das Datum dieses Tages so tief in die Stadtgeschichte eingegraben hat Ohne Gnade bombardierten die Alliierten die Stadt entlang der Enz. Rings um die Auerbrücke barsten die Häuser, Trüm­mer und Splitter flogen umher.
Mitten in diesem Inferno stand Her­mann Ruf und hielt ein fertiggestelltes Ölgemälde in den Händen, als plötzlieh, ausgelöst von einer der Explosio­nen, ein glühender Brocken auf den Maler zuschoss, ihn jedoch nicht ver­letzte, nicht einmal traf, sondern glatt und sauber durch das in Öl gemalte Haus auf dem Werk des Künstlers hindurchjagte. Das Bild zeigte eine Straße im alten Pforzheimer Au-Ge­biet. Seit diesem Tag prangt ein großer Krater mitten auf dem gemalten Haus. Das Original-Haus aber fiel zur Gänze den Bomben zum Opfer.

Die Enz entlang geflohen

Ruf floh am rechten F1ussufer über das Enzvorland in Richtung Eutingen, wie etliche andere Bewohner der zer­störten Stadt auch. Dort wohnte er während der folgenden Monate.
Hartmut Radel ist der Enkel des 1882 geborenen Künstlers. In Radels Besitz befindet sich auch das Bild mit dem Trümmer-Loch, das diese Woche erstmals der Presse gezeigt wurde. Radel hat das Ölgemälde in der Schweiz in Glas rahmen lassen, so dass der Betrachter durch das Loch hindurchblicken kann. „Für die Familie, für mich“,  sagt er.  Andere Bilder Her­mann Rufs aber sind öffentlich zugänglich. Der Mann ist in Pforzheim, wo er zeitlebens gewohnt hat, kein Unbe­kannter. Einige seiner Gemälde hän­gen in der „Galerie Pforzheimer Künst­ler“.

Für Jahrzehnte sei er nicht aus dem Stadtbild wegzudenken gewesen, erinnert sich sein Enkel. Dort oder im Pforzheimer Umland sei er dann geses­sen, habe gemalt und sich von nichts stören lassen. Gegenständlich, idyllisch, habe er die Sachen dargestellt. Und Wasser habe er malen können, dass man glaubte, nass zu werden, schildert Hartmut Radel.

Seinen Lebensunterhalt hat Her­mann Ruf vor dem Krieg als Schmuck­fabrikant verdient, natürlich mit eige­nen Entwürfen. Doch auch seine Fabrik fiel den Bomben des 23. Februar zum Opfer. Es sollte nicht sein schlimmster Vertust sein.

Als die Oma im Traum rief

Seine Tochter war mit dem damals fünfjährigen Hartmut aus dem gefähr­deten Pforzheim ins sichere St Blasien im Südschwarzwald verreist gewesen. „Auf Drängen meiner Oma“, sagt Hart­mut Radel. In der Nacht des 23. Febru­ar, so habe seine Mutter ihm später erzählt, wachte sie nachts im Haus des befreundeten Försters von St Blasien auf und hörte ihre Mutter dreimal rufen. „Hermine, Hermine, Hermine“. Daraufhin sei sie aufgestanden und habe mit der Frau des Försters aus dem Fenster geblickt. Am nördlichen Nachthimmel habe man den roten Schein des brennenden Pforzheim gesehen. 

Per Pferdefuhrwerk fuhren Radel und seine Mutter zurück in die zerstör­te Stadt. Dort erfuhren sie, dass Anna Ruf, die Großmutter und Frau des Malers Hermann Ruf, beim Angriff ums Leben gekommen war. „Sie ist im Keller erstickt“, sagt Hartmut Radel. Vermutlich habe sie noch Stunden nach dem Angriff gelebt und sei etwa zu der Zeit gestorben, als ihre Tochter im 150 Kilometer entfernten St Blasien dreimal die Stimme der Mutter vernahm.

Marek Klimmiski

(Mitte Dezember beabsichtigt Kornel Mierau, der Halbbruder Hartmut Ra­dels, einen Kalender mit Bildern von Hermann Ruf zu veröffentlichen – eine Liebhaberausgabe gedruckt auf einem alten Tiegel.)